Super Mario RPG oder Chrono Trigger: Manche ein bis zwei Dekaden alten Rollenspiele scheinen einfach nicht altern zu wollen und fühlen sich immer noch frisch wie zum Release an! Auch EarthBound gehört dieser elitären Gruppe an: Neben ein paar Kleinigkeiten stellt damals wie heute die bisweilen doch etwas 8-bittige Grafik den einzigen wirklich auffälligen Kritikpunkt dar, und vermutlich fällt jener heute, wenn auf das SNES als Retro-Gerät zurückgeblickt wird, sogar weniger ins Gewicht als zu den Super Nintendo-Hochzeiten. Mit ans Herz wachsenden Helden, weitläufigen Städten, viel Witz und Atmosphäre und auch heute noch sehr unterhaltsamen Gameplay (nicht zuletzt auch Dank des angenehmen Verzichts auf Zufallskämpfe) damals wie heute ein Muss für jeden Rollenspieler – und vielleicht sogar für welche, die es eigentlich gar nicht werden wollen!
Spieletest: EarthBound SNES
Weitere Infos
Releasedate:1. Juni 1995


Anzahl der Spieler: 1
Leser-Meinungen: Noch keine
Specials: keine
Plus / Minus
- Positiv:
- einzigartige Atmosphäre, viele Gags
- tolle Musik
- einsteigerfreundlich und doch komplex
- spielt sich wirklich gut...
- Negativ:
- ...wenn auch nicht besonders innovativ
- grafisch schon 1995 etwas anachronistisch
- Inventar/Item-Lagerung etwas unpraktisch
- Stil für manche sicher gewöhnungsbedürftig
Bitte eine Pizza mit Butter, Bohnen, Sardellen, einige Schweinebeine...
Unbedingt erwähnt werden muss neben dem groß geschriebenen Humor auch die Detailverliebtheit: An Telefonen wird im Gespräch mit Ness´ Vater gespeichert – münzbetriebene Varianten erfordern freilich einen Dollar! Es existiert dezidiert die Statusveränderung „Heimweh“ – erwischt es Ness, so schafft erst ein Anruf oder Besuch bei Mama Abhilfe! Wer Items zwischen Inventar und Lager bewegen will, ruft einfach den Paketdienst an (coole Idee, aber leider etwas überkompliziert umgesetzt, da die Inventare arg begrenzt sind und nach dem Anruf tatsächlich vor dem Haus auf den Boten gewartet werden muss – da wäre eine unspektakuläre Lagerkiste im Shop leider wesentlich praktischer gewesen) und wer Heilmittel braucht, aber zu faul ist, sich im Laden mit schmerzlindernden Hotdogs oder Sandwiches einzudecken, bestellt einfach mal eben eine Pizza. Ja, selbst das Drumherum der Kämpfe ist auf den zweiten Blick wesentlich liebevoller geraten als auf den ersten: Nicht nur, dass die Gegner gerne mit abgedrehten Attacken angreifen, auch hat jeder von ihnen eine eigene Textmeldung, wenn er besiegt wurde; so endet nicht gleich jeder Fight mit Mord und Totschlag, sondern ein aggressiver Hund „becomes tame“, wenn ihm Manieren beigebracht wurden oder ein verrückte alte Frau, die mit ihrer Handtasche auf die Kinder losgeht, „turns back to normal“, nachdem der Kampf gegen sie gewonnen wurde – schön!
Das Fundament von New Pork City
Ist EarthBound somit eine reine Gagparade, quasi das Earthworm Jim des RPG-Genres? Erstaunlicherweise nein. Ja, es gibt Unmengen zu schmunzeln und zu lachen, aber nein, das Spiel stellt keine reine Blödel-Hitparade dar, sondern ist, um es etwas überspitzt zu formulieren, bisweilen weniger harmlos als es aussieht und teilweise nahezu erschreckend realitätsnah: Schon allein eine Gestalt wie Nachbarsjunge Pokey ist den meisten von uns wohl bereits im „Real Life“ begegnet – ein unsympathischer Fiesling Ness gegenüber, der aber natürlich gleich ein falsches Lächeln aufsetzt, wenn dessen Mutter das Zimmer betritt. Kein überzeichneter Bösewicht, sondern glaubwürdig, wenn er sich um seinen kleinen Bruder sorgt, und bemitleidenswert, wenn man seine fürchterlichen Eltern betrachtet (Die Missetat der Mutter, Buzz einfach zu töten, weil er sie nervt, steht programmatisch für ihren Charakter und den ihres Gatten). Wenn Pokey im Laufe der Geschichte immer mehr zum Superschurken wird – und zwar zu keinem sympathischen Schurken der Marke Jessie/James/Mauzi oder Bowser, denen man hinter vorgehaltener Hand dann doch gerne die Daumen drückt, sondern zu einem richtig bösartigen Exemplar – dann mag dies skurril und abgehoben sein, aber behält einen richtig beunruhigenden Unterton und regt fast schon im Herr der Fliegen-Stil zum Nachdenken an, wie sehr kindliche Rivalität ohne elterliche Aufsicht eskalieren kann.
Hey, Dad!
Auch das Lachen über den Running Gag des Telefongesprächs mit Ness´ Vater, welcher stets die „Fourth Wall“ bezüglich der Speicherfunktion durchbricht, bleibt ein klein wenig im Hals stecken, wenn man bedenkt, dass der junge Held ihn das ganze Spiel über nie zu Gesicht bekommt; sein obligatorischer Kommentar „We are a great team, aren´t we?“ wirkt da fast schon höhnisch. Und gewisse Story-Entwicklungen, auf welche an dieser Stelle natürlich nicht näher eingegangen werden soll, sind auch nicht gerade ohne – Abdrifter ins geradezu Psychologische oder gar Verstörende sind durchaus enthalten.
Ein Nerd und sein Affe
Das Kunststück an der ganzen Geschichte: Es passt zusammen! Nichts von dem Gesamtkunstwerk EarthBound wirkt aufgesetzt, Pathos ist den Entwicklern völlig fremd. Wo andere Rollenspiele ihre Problematiken mit schwülstigen Mono- und Dialogen in Theater- oder Opernmanier thematisieren, fühlt sich Ness´ Welt wie eine fantastische Version unserer eigenen an; Leute reden, als würden sie sich wirklich unterhalten und wenn über große Themen gesprochen wird, verleiht ihnen die alltagsmäßige Nüchternheit der Konversationen im Gegenteil große Authentizität und Dramatik. Wenn nach einer solchen Szene wieder einer der unzähligen Gags um die Ecke kommt, wirkt er dann umso mehr, anstatt deplatziert zu wirken. Zu dieser Geschlossenheit des Szenarios trägt auch die Party um Ness stark bei, welche mit ihren kindlichen und jugendlichen Protagonisten viel eher wie eine Clique als eine hard-boiled-Heldengruppe wirkt und damit ein wenig an Quintets ebenfalls famoses Illusion of Time erinnert (wo die Grundstimmung allerdings wesentlich melancholischer ist) – Babysitterin Paula, Ober-Nerd Jeff und der fernöstliche Prinz Poo (gut, den Namen hätten sie ruhig ändern können...glücklicherweise dürft ihr sämtliche Helden zu Spielbeginn umbenennen), welche sich alle nach und nach dem Haupthelden anschließen, haben neben ihren spielerischen Stärken, Schwächen und Spezialitäten (so kann etwa nur Jeff kaputte Apparaturen reparieren) alle ihre eigenen glaubwürdigen Persönlichkeiten, letztere beiden sogar ausgezeichnet gelungene, eigene Einführungskapitel, in welchen sie eine ganze Weile solo gespielt werden, bis sie sich schließlich der Gruppe anschließen. Wenn etwa besagter Geek aus einem klischeehaften Internat ausbricht und mit einem kaugummiliebenden Affen die verrücktesten Abenteuer zwischen Loch Ness und Stonehenge erlebt, um schließlich seinen Vater – einen typischen „Mad Scientist“ – zu treffen, der sich als dermaßen abgehoben entpuppt, dass er seinen eigenen Sohn nicht einmal erkennt, dann ist das irgendwie genau die Gagparade mit einer Prise Drama, die funktioniert.
Hit mit 18 Jahren Verspätung
Und genau dieser Umstand kann EarthBound gar nicht hoch genug angerechnet werden: Der Versuch, Anarcho-Komik mit ernsthaften Untertönen oder gar Messages zu kombinieren, geht nur allzu oft schief, in welchem Medium auch immer – man denke nur an diverse fürchterliche Adam Sandler-Filme. EarthBound gelingt es dagegen, viel facettenreicher zu sein, als es auf den ersten Blick wirken mag, und dabei dennoch stets wie aus einem Guss zu wirken. Mit Unmengen von tollen Ideen – auch spielerisch gibt immer wieder die eine oder andere unerwartete Überraschung – stellt dieser viel zu spät in good old Europe erschienene Klassiker ein wahres Gute-Laune-RPG dar, was gleichzeitig viel erzählerische Tiefe besitzt, ohne dies an die große Glocke zu hängen oder gar damit zu protzen. Was man auch von Nintendos Preisgestaltung der Virtual Console-Titeln halten mag – dieses Spiel ist jeden Cent wert. Wer eine Wii U, einen Internetzugang und 10 Euro besitzt, sollte sich EarthBound nicht entgehen lassen!
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Vielen Dank an die Firma Nintendo für die Bereitstellung des Testmusters.
Letzte Aktualisierung: 22.Juli.2013 - 12:43 Uhr