[19.12.] Ode an die Big Boxen, Strophe 6: Terranigma

[19.12.] Ode an die Big Boxen, Strophe 6: Terranigma

Das Ende der SNES-Ära bescherte Freunden gepflegter japanischer Fantasywelten noch zwei absolute Highlights des Genres: Ende 1996 / Anfang 1997 gaben sich die letzten beiden Vertreter der Zunft der Big Box Games die Ehre – Lufia, was uns in der kommenden (und finalen) Strophe dieser Ode beschäftigen soll, und Terranigma, der geistige Nachfolger von Soul Blazer und Illusion of Time.

Und um es kurz zu machen: Terranigma ist ein Phänomen. Terranigma muss man gespielt haben. Attestierte ich der „Illusion“ vom 16.12. noch die „Leichtigkeit eines unterhaltsamen Abenteuer-Schinkens“, ist diese in dem inoffiziellen Sequel komplett verflogen: Die Atmosphäre ist düster, melancholisch, bedrohlich, die Musik absolut fantastisch, aber mit wenigen Ausnahmen bar jeder Fröhlichkeit (viel beschwingter als im Intro von OldMacMario´s Farm # 1 wird es nicht). Als Illusion of Time in der Kleinstadt South Cape begann und gleich die in der vorherigen Folge erwähnte heimelige Musik spielen ließ, dachte ich mir sofort “Ah, hier lässt´s sich aushalten!” Angesichts des eigentlich idyllischen Heimatdorfes von Terranigma-Held Ark (de facto nur ein Platzhalter, lässt sich im Gegensatz zum Quasi-Prequel der Protagonist beliebig benennen) wiederum kam mir allein angesichts des Soundtracks sofort der Gedanke “Irgendwas stimmt hier nicht...da braut sich was zusammen!" - wer schon nach wenigen Takten solche Emotionen vermitteln kann, versteht sein Handwerk als Komponist wirklich!

Denn diese Melodie ist zwar einerseits ruhig und scheint zwar anfangs vielleicht einen ähnlichen Charakter wie Zeldas Kakariko oder Iselia aus Tales of Symphonia zu haben, aber der melancholische Unterton ist unverkennbar. Und das beschränkt sich bei weitem nicht nur auf diesen Track: Schrien etwa die Dungeon-Melodien in Illusion of Time ganz klar “Action!”, so wirken sie in Terranigma meist eher fremdartiger, bedrohlicher, ungemütlicher; war im Vorgänger auf der Weltkarte ein stimmungsvoll-abenteuerliches Arrangement zu hören, wie es Indiana Goof pfeifen würde, ist das Gegenstück im Nachfolger hochgradig nachdenklich und bisweilen dramatisch.

Diese Atmosphäre zieht sich durch alle Komponenten des Spiels – und ist dabei aber eines ganz bestimmt nicht: Aufgesetzt oder künstlich herbeigeführt. Wir spielen hier keinen von Selbstzweifeln zerfressenen und ständig weinerliche Monologe führenden Emo, sondern eher einen Lausbuben, der immer wieder für Ärger in seinem winzigen Heimatdorf sorgt und - indem er seiner Neugier nachgibt und eine verbotene Truhe öffnet - in Geschehnisse verwickelt wird, deren Tragweiten weit außerhalb seiner Vorstellungskraft liegen: Zuerst scheint es so, als wäre deren Inhalt außer dem niedlichen Sidekick-Viech Fluffy “lediglich” ein eisiger Fluch gewesen, der sämtliche Nachbarn gefriertrocknet und nur durch das Befreien der “fünf Türme des Bösen” von Monstern wieder gebrochen werden kann, die in Arks Welt – der von Kristallen bewachsenen und von Lavaströmen durchfluteten “Unterwelt” - verteilt herumstehen.


Irgendwie einfach genial: Anstatt euch durch langweilige Untermenüs klicken zu müssen, wählt ihr eure Ausrüstung, indem ihr kurzerhand in jene verhängnisvolle Truhe springt, in welcher euer treuer Sidekick Fluffy (das schwebende rosa Viecherl) lebt und als Cursor fungiert. Wusste gar nicht, dass das Innere einer Kiste so geschmackvoll möbliert sein kann!

Doch nach dem Lösen dieser Aufgabe (kann mich noch gut erinnern, wie es damals das österreichische Club Nintendo-Magazin so darstellte, als wäre das Spiel danach vorbei...) schärft der Dorfälteste dem jungen Helden ein, dass es sein Schicksal sei, in die “obere” Welt (nämlich die unsrige) zu reisen und das Leben wieder zurück dorthin zu bringen: Sämtliche Pflanzen, Tiere und Menschen waren nämlich im Zuge einer gewaltigen Schlacht zwischen den Mächten des Guten und Bösen vom Erdboden verschwunden und unsere Aufgabe sei es nun, die eingesperrten Seelen alle Wesen zu befreien und sie so wieder zum Leben zu erwecken...”Erschaffe die Welt neu!” wie es am Packungstext heißt! Es wird bis heute spekuliert, ob diese geradezu göttliche Aufgabe und der verhältnismäßig unbefangene Umgang mit religiösen Themen und Motiven (wer bei "Ark" an "Noah´s Ark" denkt, liegt richtig, aber das ist natürlich bei weitem nicht alles) ein Grund für die Entscheidung von Nintendo of America war, das Spiel nicht in den ach so “puritanischen” USA zu veröffentlichen.

Denn während die meisten Japano-RPGs und Adventures ja in Fantasiewelten spielen, bedient sich Terranigma des Stilmittels, als Handlungsort unsere Welt mit den realen Kontinenten zu wählen, was NoA möglicherweise in Verbindung zur Story gar zu unmittelbar schien...aber wie auch immer: Auf jeden Fall ist durch die Dualität Unterwelt/Oberwelt und den verschiedenen Stadien der letzteren – zuerst wildes, nur von Monstern bevölkertes Land, dann die Wiederkehr der “Kulturen” von Pflanzen, Vögeln und Landtieren und zuletzt die Menschheit, deren Siedlungen anfangs mittelalterlich anmuten, aber mit Hilfe des Hauptcharakters auf das technische Niveau der Gegenwart “aufgelevelt” werden können – eine enorme Bandbreite gegeben.

Und auf dieser langen Reise zur Rettung der Welt werden einfach unglaublich stimmungsvoll traurige, aber auch wunderschöne Szenen wie die Rückkehr der Tiere geboten. Und ist es einerseits toll, mittels Side-Quests für die Entstehung von bahnbrechenden Erfindungen zu sorgen und etwa einen Fieberkranken zu heilen, sorgt es andererseits für eine Träne im Augenwinkel, zu sehen, wie sich die verträumten Dörfer mit der Zeit in Betonwüsten verwandeln oder jene Tiere, mit denen man schon kommuniziert und Freundschaft geschlossen hat, als die Menschenseelen noch versiegelt waren, in Zoos gesperrt werden...

Zuviel will ich euch über die Story keinesfalls verraten, da sie wirklich über krasse Wendungen verfügt und ich es euch, sofern ihr das Spiel nicht kennt, auf alle Fälle ersparen will, so gespoilert zu werden, wie ich es damals aufgrund meiner naiven Lektüre des (an sich hervorragenden) Spieleberaters wurde.

Also Themawechsel: Ark steuert sich ein wenig wie Will, aber lernt keine zusätzlichen Angriffsfähigkeiten wie letzterer mit seinen Wirbelwindmoves oder Feuerbällen; vielmehr muss er das ganze Spiel über neben seinem Standardangriff mit vier intuitiven, stets abrufbaren Spezialbewegungen überleben. Dafür hat er in anderen Belangen mehr drauf als sein Vorgänger: Zaubern kann Ark zwar nur mit magischen Medaillons und Ringen, die jeweils nach einmaligem Gebrauch verschwinden, doch dafür findet er im Lauf des Spiels immer wieder Zelda-mäßige Items, die seine Repartoire an Tricks permanent erweitert: Mit den Turboschuhen können Wände eingerannt werden, riesige Blätter dürfen als Schwimmflossen genützt werden etc.

So ergeben sich wieder zahlreiche Rätsel strategische Kämpfe in den ebenso zahlreichen Dungeons samt unvergesslichen Bossen, welche in wesentlich größerer Zahl als im Vorgänger auftreten. Eine Oberwelt im Zelda-Stil ist zwar nach wie vor nicht vorhanden, doch stellt die Weltkarte im Vergleich zu Illusion of Time sehr wohl einen starken Fortschritt dar: Ark darf auf ihr frei herumlaufen und außer Dörfern und Dungeons auch mehr oder weniger versteckte Mini-Abschnitte entdecken, die teils für das Geschehen unbedingt besucht werden müssen oder einfach nur Kämpfe, kleine Rätsel und versteckte Gegenstände enthalten.

Und was ich keineswegs verabsäumen will, zu erwähnen: Wer den Namen Claude Moyse nur als Synonym für “alberne Übersetzungen” sieht, hat Terranigma nie gespielt; eine solch stimmungsvolle und fast komplett stilblütenfreie (jaja, ganz ohne “Holerö” geht´s dann doch nicht) Translation habe ich selten gelesen. Wobei man sich bei der überwiegend sehr ersten Atmosphäre des Spiels bisweilen aber gar ein bisschen mehr “Comic Relief” wünschen würde als eine Reise nach Japan samt Besuch bei den Entwicklern (Quintet), ein Wettessen oder die eine oder andere cartooneske Slapstick-Animation.

So kann ich nur jedem, der keine Aversion gegen 16Bit-Grafik hegt und mit dem Genre auch nur einen Funken anfangen kann, nur wirklich ans Herz legen, sich auf die Suche nach dem Modul (leider bislang kein VC-Release) zu machen. Aber freilich will es ich es auch nicht so aussehen lassen, als habe Terranigma keinerlei Mängel: So ist der Anstieg des Schwierigkeitsgrads bisweilen etwas seltsam – die Bosse sind anfangs nicht übermäßig stark, bis ihr in einem bestimmten Dungeon (Ihr werdet schon selbst früh genug merken, um welchen es sich handelt...) geradezu gezwungen seid, eine Weile mit Leveln zu verbringen, um überhaupt eine Chance gegen den hiesigen Endgegner zu haben; die folgenden Oberschurken stellen dann wieder kein großartiges Problem dar.

Auch erfüllt Ark seinen Job als Identifikationsfigur zwar sicherlich gut, aber im Vergleich zu Will fehlt mir da doch ein bisschen was: Seine Eltern werden niemals thematisiert; nur im Spieleberater ist einmal sinngemäß “Seit dem Verschwinden eurer Eltern kümmert sich der Weise des Dorfes um euch” zu lesen – dass sich der Bursche das ganze Spiel über niemals auch nur ansatzweiße fragt, wo Vater und Mutter nun eigentlich abgeblieben sind, kann ich nicht so recht glauben. Ebenso wirkt die Dorfgesellschaft in Krysta (Arks Heimatort) im Vergleich zu der Bevölkerung von South Cape bisweilen etwas blass: Außer dem Helden selbst, Merlina, seiner Freundin seit Kindertagen, und dem Ältesten scheint scheint die kleine Gemeinschaft überspitzt ausgedrückt fast ausschließlich aus nörgelnden Erwachsenen der Marke “Ach, diese Jugend und deren Respektlosigkeit und Streiche, früher hätt´s das nicht gegeben!” und verblödeten Jugendlichen (“Hey, Ark, der Älteste sagt, wir dürfen nicht in den Keller – wie wär´s, wenn wir die Tür aufbrechen?” - Ark bricht die Tür auf - “Oh nein, wie könntest du das nur tun! Der Älteste wird ausrasten! Verschwinden wir sofort!”) zu bestehen.

Während all das aber nur kleine Schönheitsfehler sind, wiegt ein einziger jedoch schwer: Wie in der damaligen Promotion und im Spieleberater versprochen, solle es zwei verschiedene Enden geben und das “bessere” würde sich zeigen, wenn die Entwicklung jeder Stadt das Maximum erreicht habe (wie gesagt kann Ark mittels Sidequests fortschrittlichen Politikern, Erfindern und Industriellen unter die Arme greifen) – eigentlich eine Super-Idee, die aber leider durch eine Art Bug zunichte gemacht wird: Ein einziger Ort will sich partout nicht weiterentwickeln, auch wenn sämtliche dazu nötigen Aufgaben zu 100 Prozent erledigt wurden!

Und das ist wirklich bitter, gerade weil es auch enorm interessant wäre, wie das alternative Terranigma-Ende aussehen würde. Das legendäre TOTAL!-Magazin hingegen antwortete damals auf eine Leseranfrage zu dem Thema, dass sich besagte Stadt sehr wohl weiterentwickeln würde – und jene Zeitschrift habe ich als sehr kompetent in Erinnerung. Allerdings hat jene Redaktion auch das Rubin-Diadem in Secret of Mana gefunden, dessen Existenz immer noch umstritten scheint...

verfasst von „OldMacMario“

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Letzte Aktualisierung: 19.12.2010, 13:24 Uhr